Sissi
Von Sissy, Cissy, Romy, Sissi und Sisi und den Gebrüdern Marischka
„Du wirst alle jungen Mädchen Europas zum Träumen bringen.“
(Ernst Marischka zu Romy Schneider)
Sissy: Bühnenjahre einer Kaiserin
Das Leben der Kaiserin Elisabeth von Österreich lieferte nicht nur die Vorlage für die unterschiedlichsten Filme, sondern wurde auch immer wieder für die Bühne adaptiert. Die berühmteste Bühnenfassung der kaiserlichen Lebensgeschichte ist sicherlich das Musical „Elisabeth“ von Michael Kunze und Sylvester Levay, das 1992 im Theater an der Wien seine Uraufführung erlebte und das erfolgreichste deutschsprachige Musical aller Zeiten ist. Der Intendant der Vereinigten Bühnen Wien war seinerzeit Peter Weck. Im Verlauf dieses Kapitels werden wir noch einmal auf ihn treffen.
Sechzig Jahre vor der Premiere des Musicals feierte ebenfalls eine Produktion über die österreichische Kaiserin ihre Premiere im Theater an der Wien. Der Titel dieses Stückes lautete „Sissy“ und der Intendant des Theater an der Wien war Hubert Marischka.
Der österreichische Schriftsteller Ernst Décsey hatte 1930 die Idee, „(...) den merkwürdigen Konflikt darzustellen, in den sie [Sissy, Anmerkung der Autorin] bei ihrer Verlobung mit Franz Joseph geriet. „Sissy" war als Begleiterin ihrer Schwester Helene mit ihrer Mutter in Ischl eingetroffen, spielte eine Aschenbrödelrolle und verließ Ischl als die offizielle Braut Franz Josephs, obwohl ja Helene, genannt Nené, dazu ausersehen war. Derselbe Herrscher, der so viel auf festgesetzte Programme hielt, warf das Programm gänzlich um, und die plötzliche improvisierte Verlobung mit „Sissy" war vielleicht der einzige chaotische, phantasiebestimmte Augenblick im Leben dieses Pflichtergebenen.", so Décsey im Programmheft zur Inszenierung am Theater an der Wien 1932. Gemeinsam mit Robert Weil unter seinem Pseudonym als Gustav Holm machte Décsey sich an die Arbeit zur Komödie „Sissys Brautfahrt".
Die Handlung in „Sissys Brautfahrt“ nimmt bereits einige Motive des ersten „Sissi“-Teils vorweg: Sissy ist die Lieblingstochter des unkonventionellen Herzog Max in Bayern, der sich nichts aus dem Hofzeremoniell macht und mit seinem Verhalten und seinem Einfluss auf seine Tochter seine standesbewusste Frau Ludovika regelmäßig in die Migräne treibt. Helene, die ältere Tochter des Paares, ist in den Fürsten von Thurn und Taxis verliebt, der ihr auch einen Antrag macht. Doch bevor sie diesen annehmen kann, erreicht die herzogliche Familie ein Brief aus Wien: Erzherzogin Sophie hat Helene als künftige Frau ihres Sohnes Kaiser Franz Joseph bestimmt und beordert sie und Herzogin Ludovika zu sich nach Bad Ischl, damit die Verlobung stattfinden kann. Helene bleibt nichts anderes übrig, als sich dem Willen der Tante zu fügen, doch Sissy will das Unglück verhindern und reist ihrer Schwester und ihrer Mutter gemeinsam mit ihrem Vater nach. In Bad Ischl angekommen, verwechselt der Kaiser sie mit einer Schneidermamsell und verliebt sich augenblicklich in die angebliche Bürgerliche. Schließlich klärt sich alles auf und die Paare finden zusammen, Helene heiratet ihren Thurn und Taxis und der Kaiser bekommt nun doch seine Prinzessin und am Ende wird Verlobung gefeiert.
Décsey hatte genau erkannt, was auch heute noch den „Sissi"-Stoff in Form der Romy Schneider-Filme funktionieren lässt: es ist letzten Endes nichts anderes als die alte Geschichte vom Aschenputtel, verlegt an den glanzreichen Wiener Hof. Ein historisches Märchen vor grandioser Kulisse mit fulminanten Landschaftsaufnahmen, sozusagen.
Beide Autoren waren ziemlich zuversichtlich, dass ihnen die Theater und Regisseure der Welt den Stoff aus den Händen reißen würden, doch tatsächlich erhielten sie zwei Jahre lang nur Absagen. Eher zufällig gab Décsey dem Theaterdirektor Hubert Marischka das Manuskript zur privaten Lektüre, ohne sich großartige Hoffnungen zu machen, dass dieser auch nur im Entferntesten daran denken könnte, „Sissys Brautfahrt" auf die Bühne des Theater an der Wien zu bringen. Hubert Marischka jedoch war begeistert und schrieb Décsey sofort einen langen Brief, in dem er ihm seine Meinung zu dem Stück mitteilte: „Manche Szene möchte ich umstellen, aber ich sehe ein Niveau, ich sehe ein Finale..., ich sehe ein Duett..., ich sehe Wirkungen..., ich sehe...", so zitiert Décsey Marischka im Programmheft von 1932. Scheinbar war Hubert Marischka von „Sissys Brautfahrt" immer mehr angetan, denn er sah schon Paula Wesseley in der Hauptrolle. Gemeinsam mit Marischkas Bruder Ernst schrieben Décsey und Holm ihr Theaterstück „Sissys Brautfahrt“ in ein Libretto für ein Singspiel um, das fortan den Titel „Sissy“ trug. Anfangs war der österreichische Komponist Bruno Granichstaedten für die Partitur vorgesehen, doch Marischka entschied sich schließlich für Fritz Kreisler, der das Singspiel mit einigen Melodien aus seinem eigenen Repertoire als Solo-Violinist anreicherte und somit nicht alle Nummern exklusiv für „Sissy“ komponierte.
Am 23. Dezember 1932, einen Tag vor dem 95. Geburtstag der historischen Kaiserin, feierte „Sissy“ Premiere im Theater an der Wien und wurde sofort ein Erfolg. Paula Wesseley spielte tatsächlich die Hauptrolle, wurde jedoch, da sie keine ausgebildete Sängerin war, bei einigen Gesangparts von einer Sängerin hinter der Bühne gedoubelt. Das Stück war äußerst erfolgreich und erlebte fast 300 Aufführungen. Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus und dem späteren sogenannten „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland wurde „Sissy“ vom Spielplan genommen. Dies hatte zwei Gründe: zu einem war eine Glorifizierung der „guten, alten“ Habsburgermonarchie vom Regime unerwünscht und zum anderen war der Komponist Fritz Kreisler war jüdischstämmig. Erst nach dem Ende des zweiten Weltkrieges fanden wieder Inszenierungen des Stückes statt.
In den 1990er Jahren, wohl auch aufgrund des Erfolges des Musicals "Elisabeth", das 1992 ebenso wie "Sissy" im Theater an der Wien seine Premiere gefeiert hatte, gab es ein Revival der Operette. Unter dem etwas moderner klingenden Label "Singspiel" produzierte die Wiener Kammeroper in Zusammenheit mit dem Schönbrunner Schloßtheater eine Neufassung des Stoffes. Aus „Sissy" mit y wurde „Sissi" mit i und das Plakat der Produktion erinnerte an das Titelfoto des ersten "Sissi"-Filmprogramms, im Gegensatz zum Reiterbildnis der jungen Kaiserin vor Schloss Possenhofen, das man für die Originalproduktion verwendet hatte. Des weiteren wurde die Nummer „'s ist einmal im Leben so" aus der Operette „Im weißen Rössl'" von Ralph Benatzky eingefügt. Bis heute gibt es immer mal wieder Aufführungen des Stückes, dann meist jedoch unter dem neuen Titel „Sissi“.
Cissy: Hollywoodjahre einer Kaiserin
Da eine Bühnenaufführung oder gar eine Verfilmung aus politischen Gründen im Dritten Reich nicht möglich war, verkaufte Hubert Marischka die Filmrechte für 160 000 US-Dollar an die amerikanische Filmfirma Columbia Pictures. Sidney Buchman arbeitete die Geschichte in ein Drehbuch um, das vor allem der Hauptdarstellerin Grace Moore auf den Leib geschneidert war. Grace Moore kam eigentlich von der Oper und hatte bereits einige Filme für die Columbia gedreht. Bekannt war sie jedoch vor allem durch eine Radiosendung geworden, in der die ausgebildete Opernsängerin ihren Hörern klassische Musik näher brachte. Die Gesangsnummern wurden weitestgehend gekürzt, so dass mit Ausnahme eines Chores eigentlich nur noch Cissy singt, während in der Bühnenversion unter anderem auch Herzog Max oder Prinzessin Helene gesanglich zu hören waren. Auch wurden Nebenhandlungen des Stückes herausgenommen, um die Liebesgeschichte zwischen dem Kaiser und der angeblichen Schneidermamsell mehr in den Vordergrund zu rücken. Obwohl der Film den Titel „The king steps out“ erhielt, so ist doch weniger der Kaiser, als Cissy die Hauptperson.
Der Name „Sissy“ wurde in „Cissy“ umgeändert. Über die Gründe hierfür kann nur spekuliert werden. Möglich wäre zum einen die Tatsache, dass das englische Wort „sissy“ in der Übersetzung soviel bedeutet wie „Schwuchtel“ oder „Weichei“ und zum anderen, dass „Sissy“ oder auch „Sissi“ im Englischen keine typische Koseform für den Namen „Elisabeth“ bzw. „Elizabeth“ ist. Dies wäre dann allerdings eher „Liz“, „Liza“ oder „Lizzie“, so dass ich persönlich eher zu Annahme eins tendiere. Hierfür spricht auch, dass Kreislers „Sissy“-Partitur 1969 unter dem Titel „Lisa“ in England neuveröffentlicht wurde.
Als junger Kaiser Francis Joseph, hier wurde lediglich der Name ins Englische übersetzt, wurde Grace Moore der sieben Jahre jüngere Franchot Tone an die Seite gestellt, der ein Jahr zuvor für seine darstellerischen Leistungen in „Meuterei auf der Bounty“ gemeinsam mit Clark Gable für den Oscar nominiert worden war. Der in den 1930er Jahren in Hollywood sehr polupäre deutsche Schauspieler Herman Bing spielte in einer Nebenrolle den Gastwirt Pretzelberger und sorgte für eine komödiantische Note.
Sissi: Wirtschaftswunderjahre einer Kaiserin
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges gelang es Ernst Marischka nicht, die Filmrechte für den „Sissy“-Stoff von Columbia Pictures zurückzukaufen. Im Nachkriegskino des deutschsprachigen Raumes dominierte seinerzeit der Heimatfilm die Leinwände, dem man durch die Rückbesinnung auf die „gute alte Kaiserzeit“ noch eine historische Komponente hinzufügte. Folglich kam es in Österreich zu einem Boom an K.u.K.-Filmen, und Ernst Marischka wurde einer der erfolgreichsten Regisseure dieses Genres.
Bereits 1954 hatte Marischka den Film „Mädchenjahre einer Königin“ gedreht, der auf seiner Bühneninszenierung der gleichnamigen Komödie von Sil-Vara aus dem Jahre 1936 beruhte. Die Hauptrolle der jungen Queen Victoria sollte eigentlich von Sonja Ziemann gespielt werden, doch nachdem Marischka die Schauspielerin Magda Schneider und deren Tochter Romy kennengelernt hatte, entschied er sich spontan, den Part an die damals siebzehnjährige Romy Schneider zu vergeben. Romy Schneider hatte zu diesem Zeitpunkt gerade einmal zwei Filme an der Seite ihrer Mutter gedreht, in denen sie Nebenrollen gespielt hatte.
„Mädchenjahre einer Königin“ kann zu Recht als Blaupause für die späteren „Sissi“-Filme gelten. Viele Motive sowohl aus der „Sissy“-Operette und auch aus der Trilogie finden sich hier bereits wieder. Als Beispiele wären hier ähnliche Charaktere wie der Butler George bzw. Leutnant Böckl, eine herrschsüchtige Mutter in „Mädchenjahre einer Königin“ und eine ebenso herrschsüchtige Schwiegermutter bei „Sissi“ oder auch das gefälschte Inkognito als Bürgerliche (Victoria und Albert in „Mädchenjahre...“ bzw. Sissi im ersten Teil bzw. gemeinsam mit Franz Joseph im dritten Teil der Trilogie) zu nennen. Des weiteren ist „Mädchenjahre einer Königin“ auch recht walzerlastig und das, obwohl er am englischen und nicht am österreichischen Hof spielt. Die Victoria dieses Films ist eine englische Version der Sissi, ein ungestümes, leidenschaftliches Mädchen, naiv, süß und hinreißend und Prinz Albert erinnert in seiner nüchternen Pflichtergebenheit nicht nur optisch an Kaiser Franz Joseph.
Der Film war äußerst erfolgreich, so dass Marischka nun auch überlegte, „Sissy“ fürs Kino zu adaptieren. Da die Drehrechte jedoch bei Columbia lagen, sah er sich gezwungen, das ursprüngliche Drehbuch umzuschreiben. So pflückten Sissy auf der Bühne und Cissy auf der Leinwand im kaiserlichen Garten in Bad Ischl verbotenerweise Rosen und erweckte so das Interesse des Kaisers, während sich Sissi im Film den Kaiser im wahrsten Sinne des Wortes am Ufer eines Flusses „angelt“. Die Liebesgeschichte zwischen Nené und Thurn und Taxis wurde genauso rausgekürzt wie andere Nebenhandlungen der ursprünglichen Operette, dafür wurde die Rolle der Erzherzogin Sophie vergrößert und der übernervöse, etwas hektische und trottelige Leutnant Böckl übernahm den komödiantischen Anteil des bierseligen, gemütlichen, aber leicht überforderten Gastwirtes Pretzelberger.
Für die Besetzung für „Sissi“ griff Marischka teilweise auf einige Schauspieler zurück, mit denen er bereits „Mädchenjahre einer Königin“ und „Die Deutschmeister“ besetzt hatte: sowohl Romy Schneider wie auch ihre Mutter Magda waren in beiden Filmen in einer ähnlichen Kombination zu sehen gewesen. Josef Meinrad, dessen Darstellung in „Die Deutschmeister“ bereits ein wenig an Leutnant Böckl erinnerte, wurde für eben jene Rolle in „Sissi“ engagiert. Peter Weck, der schon in „Mädchenjahre einer Königin“ als möglicher Heiratskandidat für die englische Königin besetzt worden war, durfte nun auch in „Sissi“ als Karl Ludwig seiner bayerischen Cousine schöne Augen machen. (In beiden Fällen wurde Romy Schneider dann aber jedoch von anderen Männern zum Altar geführt.)
Gedreht wurde in Wien, Bad Ischl und in Schloss Fuschl am Fuschlsee im Salzkammergut. Schloss Fuschl, ein Luxushotel, diente als Double für Schloss Possenhofen. Das echte Schloss am Starnberger See war ab den 1940er Jahren immer mehr in seiner historischen Struktur zerstört worden und hatte unter anderem zur Zeit des Nationalsozialismus als Ausbildungsstätte der Luftwaffe gedient. Durch die zweckentfremdete Verwendung des Gebäudes war das historische Schloss kaum noch als solches zu erkennen und nach dem Ende des zweiten Weltkriegs immer mehr verkommen und somit für Filmaufnahmen nicht zu gebrauchen. Erst in den 1980er Jahren wurde Possenhofen restauriert, ist allerdings nicht der Öffentlichkeit zugänglich.
Am 21.12.1955 startete „Sissi“ in den österreichischen Kinos, einen Tag später kam der Film auf die westdeutschen Leinwände. Der Film war sofort ein einschlagender Erfolg. Schätzungsweise 20-25Millionen Menschen haben „Sissi“ damals in den Kinos gesehen, gerüchteweise übertreffen diese Zuschauerzahlen sogar jene von „Vom Winde verweht“, der erst 1953 in die deutschen Kinos gekommen war. (Genaue Angaben sind leider nicht möglich, da die Besucherzahlen seinerzeit nicht statistisch erfasst wurden, Anmerkung der Autorin.)
Der Erfolg beflügelte Marischka darin, eine Fortsetzung zu drehen und so kam bereits am 19.12.1956 mit „Sissi, die junge Kaiserin“ eine Fortsetzung in die westdeutschen Kinos und folgte ein Jahr später mit „Schicksalsjahre einer Kaiserin“ ein dritter Teil. Die Disney-Studios kauften Anfang der 1960er Jahre die Veröffentlichungsrechte für den US-amerikanischen Markt. Unter dem Titel „Forever my love“ kam 1962 ein Zusammenschnitt der Trilogie in die amerikanischen Kinos. Für diese Fassung wurden die drei Filme mit einer insgesamten Laufzeit von 318 Minuten auf 147 Minuten zusammengeschnitten. Viele Nebenhandlungen, etwa um Leutnant Böckl, fielen so der Schere zum Opfer. Ebenso wurde der Vorspann dem amerikanischem Publikumsgeschmack angepasst und das klassische Instrumentalstück durch ein Liebeslied von Burt Bacharach mit dem Titel „Forever my love“ ersetzt.
Die drei „Sissi“-Filme zählen zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Kinofilmen aller Zeiten. Seit den 1980er Jahren werden sie regelmäßig zur Weihnachtszeit sowohl in Deutschland wie auch in Österreich zur besten Sendezeit um 20:15 im Fernsehen ausgestrahlt und erzielen immer noch hohe Einschaltquoten. 1998 strahlte das ZDF eine restaurierte Fassung aus, für die Bild und Ton digital überarbeitet worden waren. Auch auf VHS und später dann auf DVD und Bluray wurden und werden die Filme immer wieder veröffentlicht.
Romy: Schicksalsjahre als Kaiserin
„Sissi bappt an mir wie Grießbrei.“ stellte Romy Schneider fest. Für den ersten Teil hatte sie eine Gage von 25.000 DM, seinerzeit eine hohe Summe, erhalten. Nun bot Ernst Marischka ihr eine Million DM für einen vierten „Sissi“-Teil. Die „Sissi“-Filme waren beim Publikum beliebt, und zwar nicht nur in Deutschland, Österreich oder der Schweiz, sondern weltweit. „Sissi“ hatte einen Siegeszug um die Welt angetreten, der darüber hinaus auch noch einen wahren Merchandising-Hype auslöste: in Spanien wurden zum Beispiel Sammelalben veröffentlicht, wie man sie auch heutzutage zu Blockbustern findet und auch die österreichische Tourismusindustrie profitiert bis heute vom Erfolg der Filme. Ein vierter Teil schien also nur noch eine Sache der Zeit zu sein. Doch Ernst Marischka hatte seine Rechnung ohne seine Hauptdarstellerin gemacht.
Denn Romy sagte „Nein“.
Romy Schneider, damals gerade einmal 19 Jahre alt, erkannte sehr wohl die Gefahr, in die sie sich als Schauspielerin begeben hatte: „Nichts ist gefährlicher, als einen Stempel auf der Stirn zu tragen. Und mein Stempel heißt Sissi.“ Für das Publikum, die Produzenten und Regisseure war Romy Schneider zu diesem Zeitpunkt längst Sissi. Ihr Film „Scampolo“ von 1958, der absolut nichts mit den „Sissi“-Filmen zu tun hat, wurde in Italien sogar unter dem Titel „Sissi a Ischia“ veröffentlicht. Für die Presse und das Publikum jener Zeit waren die Film-Sissi und die Schauspielerin Romy Schneider längst zu einer Person geworden. Die Drehbücher, die ihr angeboten wurden, waren zum größten Teil Varianten des „Sissi“-Stoffs, sahen Romy Schneider stets als Prinzessin oder Aschenputtel, das am Ende seinen Prinzen findet.
Das „Nein“ zum vierten „Sissi“-Film war für Romy Schneider ein Befreiungsschlag. Nicht nur als Schauspielerin, sondern auch privat. Mit ihrer neuen Liebe Alain Delon ging sie nach Frankreich und löste sich damit auch von ihrer dominanten Mutter Magda Schneider, an deren Seite sie sieben Filme gedreht hatte. Die Folge war ein Aufschrei der Entrüstung, vor allem in Deutschland. Die süße Sissi ging ausgerechnet nach Frankreich, zum „Erbfeind“! Und dann auch noch mit diesem Filou Alain Delon!
Tatsächlich war der Umzug nach Frankreich das Beste, was Romy Schneider passieren konnte. Hier konnte sie endlich die Rollen spielen, die man „Sissi“ in Deutschland nie angeboten hätte. Sie wurde ein internationaler Filmstar, drehte mit Regisseuren wie Orson Welles oder Claude Sautét. Coco Chanel machte sie zur Stilikone und Alice Schwarzer durch die „Wir haben abgetrieben“-Kampagne in der Zeitschrift „Stern“ zu einer prominenten Gegenerin des Paragraphen §218.
Romy Schneider hatte sich geschworen, nie wieder die Sisi zu spielen. Und dennoch war sie 1972 im Film „Ludwig II“ des italienischen Regisseurs Luchino Visconti wieder in dieser Rolle zu sehen. Visconti selber hatte sie gebeten und es hatte ihm einiges an Überzeugungskraft abverlangt. Romy Schneider über ihre Rolle als Kaiserin Elisabeth in „Ludwig II“: „Zwischen der Sissi von einst und meiner heutigen Rolle gibt es nicht die geringste Gemeinsamkeit. (…) Ich werde diese Rolle, den Charakter dieser Frau zum ersten Mal wirklich spielen.“ Tatsächlich stellt Romy Schneider in diesem Film das Bild der süßen Marischka-Sissi gründlich auf den Kopf. Diese österreichische Kaiserin hat nichts mehr mit der Sissi aus der Trilogie gemein. Elisabeth von Österreich entzieht sich bewusst ihren höfischen Verpflichtungen, ist sich durchaus ihrer Wirkung auf Männer bewusst, manipuliert ihre jüngere Schwester dahingehend, dass diese in eine Verlobung mit dem Bayernkönig einwilligt und weiß ganz genau und vollkommen desillusioniert um ihren Stand in der Geschichte: „Wir sind nichts als Pomp.“ Als Ludwig sich schließlich immer mehr in seinen Wahn flüchtet, bricht sie in eiskaltes Lachen aus. Mit ihrer Darstellung in „Ludwig II“ verkörperte Romy Schneider die Kaiserin insgesamt vier Mal. Damit ist Romy Schneider die Schauspielerin, die die Kaiserin am häufigsten auf der Leinwand gespielt hat.
Für das Publikum in Deutschland blieb Romy Schneider immer „Sissi“. Selbst heute, über 30 Jahre nach ihrem Tod, wird sie mit keiner anderen Rolle so sehr assoziiert wie mit dieser. In der Klatsch- und Regenbogenpresse dominieren immer noch Schlagzeilen wie „Sissi war ihr Schicksal“ die Berichterstattung über Romy Schneider. Private Tragödien im Leben der Schauspielerin, wie etwa der Tod ihres Sohnes David, werden dann gerne mit der Biographie der Kaiserin verglichen, was mitunter zu den abstrusesten Formulierungen wie etwa „Der Sissi-Fluch“ führt. Es bleibt zu hoffen, dass nachfolgende Generationen eines Tages ein differenzierteres Bild sowohl von der Schauspielerin wie auch von der historischen Kaiserin zeichnen können werden. Denn so wird es immer zwei Romys geben: einmal die Schauspielerin und einmal die ewige Märchenkaiserin.
Sisi: Schicksalsjahre als „Sissi“
Wer heute an die österreichische Kaiserin denkt, hat in der Regel ein Bild von Romy Schneider vor Augen, wie sie mit ihrem „Papili“ durch den Wald zieht oder mit ihrem „Franzl“ Walzer tanzt. Sissi, das ist vor allem eine prächtige Landschaftskulisse, das sind rauschende Kostüme und schneidige Uniformen, Walzerseligkeit und zuckersüße Geigenmusik. Für viele ist Sissi auch ein Stück Weihnachtstradition, da die Filme nach wie vor um Weihnachten herum zur besten Sendezeit laufen.
Mit dem wirklichen Leben der österreichischen Kaiserin haben diese drei Filme nicht wirklich viel zu tun. Zwar werden Episoden aus Elisabeths Biographie verwendet, auf historische Wahrheit legen diese Filme jedoch keinen Wert. So spielt die Krönung zur Königin von Ungarn („Sissi, die junge Kaiserin“) vor dem Staatsbesuch in Italien („Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin“), so dass man eigentlich nach dem ersten Teil den dritten und dann erst den zweiten sehen müsste. Auch hat das Kaiserpaar während des zweiten und dritten Teils nur eine Tochter, während zum Zeitpunkt der Krönung in Ungarn bereits drei Kinder geboren bzw. im Falle der kleinen Erzherzogin Sophie bereits eins wieder verstorben war. Diese Liste ließe sich noch fortsetzen.
Auch wenn seit den 1980er und vor allem seit den 1990er Jahren zunehmend Literatur erschienen ist, die die historische Kaiserin in einem ganz anderen Bild, nämlich weit jenseits von „Sissi“ darstellt -verwiesen sei hier natürlich vor allem auf Brigitte Hamann- so erging es der echten Sisi nicht anders als es der Schauspielerin Romy Schneider erging: beide wurden ihr „Sissi“-Image bis auf den heutigen Tag nicht los. Dies zeigt sich auch daran, dass es abgesehen von einigen Dokumentationen keinen ernstzunehmenden Versuch gegeben hat, das Leben der österreichischen Kaiserin realistisch und fernab des „Sissi“-Kitsches in Spielfilmformat zu inszenieren. Nach den „Sissi“-Filmen war die Kaiserin in den 1950er und 1960er Jahren nur noch als Nebenrollen in Filmen über Ludwig II und Mayerling zu sehen. Auch in den 1970ern trat sie lediglich als Begleiterin des Bayernkönigs auf der Kinoleinwand auf. Im Fernsehen waren 1972 Marisa Mell im Dokuspiel „Elisabeth, Kaiserin von Österreich“ und Diane Keen und Rachel Gurney in der BBC-Serie „Fall of eagles“ zu sehen. Beide Produktionen zeichneten ein eher nüchternes Bild der Kaiserin, erreichten aber aufgrund der Tatsache, dass es sich um Fernsehproduktionen handelte, einfach nicht die nötige Popularität, um beim Publikum dauerhaft ein realistischeres Image Elisabeths zu kreieren.
In den 1990er Jahren kam ein neuer Faktor hinzu, der es der historischen Sisi bis heute erschwert, aus dem Schatten der Film-Sissi zu treten: die Satire. Christoph Bölls „Sisi & der Kaiserkuß“ von 1991 oder Michael Bully Herbigs „Lissi und der wilde Kaiser“ von 2007 sind weniger Satiren auf das Leben der historischen Kaiserin als Parodien auf die „Sissi“-Filme. Indem diese Filme das Personal der „Sissi“-Filme überzogen und überspitzt darstellen, vermitteln sie weniger „das wahre Leben der Sissi“ (wie sie es in den Trailern gerne bewerben mögen), sondern bieten lediglich den Boden für mehr oder weniger plumpe Witze und eher derbe, denn gelungene Anzüglichkeiten dies- und jenseits des guten Geschmacks. Nicht historische Persönlichkeiten und Ereignisse werden persifliert und durch den Kakao gezogen, sondern die Charaktere und Handlungen der „Sissi“-Filme. Interessanterweise war es ausgerechnet Karlheinz Böhm, der einmal gesagt hat: „Warum sollte man eine Parodie auf Sissi drehen, wenn die Sissi-Filme die damalige Zeit schon genug parodieren?“
Nach der Jahrtausendwende hat es bis zum derzeitigen Zeitpunkt (Stand: 2012) zwei Spielfilmproduktionen gegeben, in denen die Kaiserin in der Hauptrolle zu sehen war. Sowohl „Sissi, l'impératrice rebelle“ von 2004 als auch „Sisi“ von 2009 versprachen ein moderneres, rebellischeres Bild der Kaiserin. Beide Filme scheiterten. Während dies bei der französischen Fernsehproduktion vor allem an der grandiosen Fehlbesetzung der Hauptdarstellerin Arielle Dombasle lag, die sich zudem durch ein historisch äußerst schwammiges Drehbuch zu kämpfen hatte, traute sich „Sisi“ einerseits nicht aus dem Schatten der Marischka-Trilogie heraus (die Handlung geht ebenfalls nur bis zur Königskrönung in Ungarn) und litt unter anderem auch daran, dass insgesamt sechs (!!!) Drehbuchautoren ein Skript verfassten, dass es in keinster Form schaffte, einen roten Faden hinsichtlich Charakterentwicklung und Spannung aufkommen zu lassen.
Keine Filmproduktion nach den Marischka-Filmen hat das Bild, das die Nachwelt von Elisabeth hat, mehr dominiert. Im kollektiven Gedächtnis sind die fiktive Figur Sissi und die historische Figur Elisabeth von Österreich längst eins geworden. Ganz gleich, wie viele Verfilmungen der kaiserlichen Biographie noch gedreht werden mögen, sie werden sich immer mit der „Sissi“-Trilogie messen lassen müssen.
Was ließ ihr die Vergötzung?
Was ließ ihr noch der Neid?
Was blieb von ihrem Leben als Bodensatz der Zeit?
Nur Kitsch!
(Luigi Lucheni im Musical „Elisabeth“)